Schreiben Vortrag | Essay

Werbung und Kreativität – Blenden und Blending.

Warum sich die Kreativitätspsychologie mit Metapherntheorie beschäftigen sollte.

„Creativity is intelligence having fun.“

Albert Einstein

Dieses Zitat wird Albert Einstein zugeschrieben und ist allein schon deshalb kreativ, weil es als Formel angelegt ist und formal eine gewisse Nähe zu Einsteins Relativitätstheorie aufweist. Aber – was genau ist Kreativität und worin besteht der Spaß, den Intelligenz haben könnte? Mal ganz abgesehen von der Frage wer oder welche kortikale Strukturen mit Intelligenz gemeint sind.
Ich begrüße Sie zu meinem Vortrag. Werbung und Kreativität – Blenden und Blending. Warum sich die Kreativitätspsychologie mit Metapherntheorie befassen sollte.
Ich möchte in diesem Impulsvortrag im ersten Teil Kreativität als Forschungsobjekt darstellen, um dann im zweiten Teil die Metapherntheorie nach Lakoff in Verbindung mit dem Conceptual Blending nach Fauconnier und Turner vorzustellen. Diese werde ich dann an einem Beispiel aus der Werbung illustrieren.

Kreativität


Der Begriff kommt aus dem Lateinischen „Creare“ – Erschaffen, Erzeugen, Gestalten. Der Psychologe Holm-Hadulla sieht zudem noch eine Nähe zum Begriff „Cresecere“ – werden, gedeihen, wachsen lassen.
Kreativität ist also auf den ersten Blick etwas, was irgendwie geschaffen wird und eine Phase des Gedeihens voraussetzt.
Über die Voraussetzungen für Kreativität gibt es einen weitestgehenden Konsens, der sich durch das Akronym FASZINATION auf den Punkt bringen lässt:
Flexibilität – assoziatives Denken – Selbstvertrauen – Zielorientierung – Intelligenz – Nonkonformismus – Authentizität – Transzendenz – Interesse.

Für meine Überlegungen liegt der Schwerpunkt nun auf den Denkprozessen, also assoziatives Denken und Flexibilität. Damit ist ganz allgemein die Fähigkeit gemeint, neue Informationen mit bekannten zu vergleichen und zu verknüpfen und offen für neue Erfahrungen zu sein, also neue oder unerwartete Gedankenverbindungen überhaupt zuzulassen.
Der kreative Prozess als solcher wird in fünf Phasen unterschieden: Vorbereitung – Inkubation – Illumination – Realisierung – Verifikation.
Auch hier sollen zwei Begriffe herausgehoben und fokussiert werden: nämlich die der Inkubation und Illumination. Die Inkubation deutete sich bereits zu Anfang im „Gedeihen“ an, also das aktive Assoziieren. Illumination ist die sprichwörtliche Erleuchtung, die neue Erkenntnis. Vollmer schreibt dazu: Als Wurzel der Kreativität sähe Robinson die Imagination. Sie sei die Fähigkeit, etwas zu erkennen, das noch nicht bewusst ist. An anderer Stelle zitiert Vollmer Kant: dieser definiere „Einbildungskraft als das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen.
Kreativität ist demnach die Fähigkeit, eine Vorstellung von etwas bewusst zu machen, das vorher noch nicht da war. Sehr anschaulich ist in diesem Zusammenhang ein Ausspruch Michelangelos, der gesagt haben soll, die Skulptur befände sich bereits im Stein, er müsse nur noch das Überflüssige entfernen. Selbst in der Beschreibung dieser Vorgänge bewege ich mich sprachlich bereits in Bildvergleichen.

Um diese Fähigkeit zur Vorstellung und Bewusstmachung weiter zu untersuchen, gehe ich nun auf die Ebene des Denkprozesses, und zwar in der Unterscheidung von konvergentem und divergentem Denken nach Guilford.
Konvergentes Denken beschreibt kurz und knapp die rational-analytische, zielgerichtete lösungsorientierte Denkrichtung, salopp gesagt: straight ahead, stur geradeaus. Im Gegensatz dazu ist divergentes Denken breit angelegt und berücksichtigt Aspekte wie Problemsensitivität – Ideenflüssigkeit – Flexibilität – Originalität und Elaboration. Konvergentes Denken ist somit analytisch und selektiv. Divergentes Denken scheint auf den ersten Blick ziellos zu sein, eröffnet aber einen Denkraum, der eine Auswahl an Gedanken, Ideen oder Vorstellungen beinhaltet. Bildhaft ausgedrückt ist konvergentes Denken das Denken auf der Autobahn und divergentes Denken ein mit der Machete freigeschlagener Trampelpfad.
Kreativität ist nur dann Kreativität, wenn am Ende ein brauchbarer Output dabei herauskommt: Eine Idee oder eine Erkenntnis, die mir bei der Lösung eines Problems hilft. Daraus lässt sich ableiten, dass erst in einem Mix aus divergentem und konvergentem Denken so ein Output entstehen kann. Kreativität wäre also eine Denkschleife aus abwechselnden Phasen des Sammelns und Selektierens.

Gehen wir noch einen Schritt weiter auf die neuronale Ebene. Lehmann beschreibt kreative Denkprozesse als Oszillieren zwischen Flow-Zuständen und Muße, also cerebraler Entspannung. Die Entspannung wäre demnach der Zustand des Inkubierens. Also unbewusstes Gedeihen, was sich wieder in der Metapher des Ausbrütens verbildlichen lässt. Der Flow ist maximale Fokussierung bei gleichzeitiger Ausblendung aller anderen Faktoren wie Zeit, Raum, der eigene Körper und dessen Befindlichkeiten. Weiterhin stellt Lehmann heraus, dass der Neurotransmitter Dopamin unter anderem dafür verantwortlich ist, bestimmte Areale im Gehirn zu aktivieren oder deaktivieren und damit bestimmte neuronale Verbindungen zu priorisieren oder eben nicht.
Dopamin wird sowohl im Mittelhirn, und zwar dort in der Substantia Nigra, als auch in der Nebennierenrinde gebildet, wirkt primär neuronal erregend und steuert Antrieb und Motivation, aber auch Bewegungen innerhalb der Basalganglienschleife. Patho-neurologisch spielt Dopamin deswegen eine Rolle bei der Parkinson-Erkrankung mit einem Dopaminmangel und bei einem Zuviel im Zusammenhang mit Schizophrenie. Dies erklärt die Nähe zum Themenfeld Genie und Wahnsinn, was aber eine andere Geschichte ist, wie im Falle des Mathematikers John Nash.
Nun können wir nicht willentlich den Ausstoß von Dopamin ankurbeln oder unterdrücken, er steht aber trotzdem in Zusammenhang mit dem limbischen System im Temporallappen hinter den Ohren, welches für unsere Emotionen zuständig ist. Diese Strukturen sind im okzipitalen Bereich (etwas weiter hinten oben) mit den Spracharealen (Broca und Wernicke) verschaltet. Überdies findet auch Erinnern und Gedächtnis in temporalen Strukturen statt, die wiederum eng an visuelle kortikale Strukturen gebunden sind. Darauf verweist bereits Francis Crick in seiner Publikation „Was die Seele wirklich ist“ Über visuelles Bewusstsein. Auch das scheint mir eine wichtige Spur zu sein, die die Argumentation für bildliches Denken stützt.
Kreativität ist in der Sammelphase also ein dopaminabhängiges Erschließen neuer oder wenig genutzter Nervenverbindungen und Verknüpfen von gespeicherten Daten. Diese wiederum haben sich aus Erfahrung und Vorstellung durch Erinnerungs- und Gedächtnisleistungen gebildet.

Zu Beginn hatten wir die kreativen Phasen Inkubation und Illumination fokussiert. Das Verlassen ausgetretener Pfade scheint zu diesem Zeitpunkt eher der Inkubation zuzuordnen zu sein, die mit der Illumination, der Bewusstmachung bereits zu einigermaßen gangbaren Fußwegen geworden sind.
Und so stellt sich Vollmer in ihrem Buch über Kreativität auch zu Recht die Frage: Inwiefern vorsprachliches und bildhaftes Denken im Unterschied zu sprachlichem Denken die Ideenfindung beeinflusst.
Erinnern wir uns an die Zitate von Robinsons und Kant: die Kernbegriffe sind Imagination und Einbildungskraft. Vollmer zieht hier die sprachliche Verbindung zum lateinischen Ursprung „imaginatio“ und dem reflexiven „sich ein Bild machen“.
Aber ganz offensichtlich unterscheidet sie zwischen unbewusstem Bilddenken und bewusstem Sprachdenken als voneinander getrennte Systeme und ich frage mich, ob das Sinn macht.

Und damit wäre ich beim zweiten Teil, der Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson.

Metapherntheorie


Die Metapher als rhetorisches Stilmittel löst keine große Aufregung aus. Man kennt sie, man nutzt sie und gut ist. Deutlich aufregender ist dagegen das Konzept von Lakoff und Johnson, die die Metapher zum zentralen Denkprozess erklären. Dabei formulieren sie folgende Grundannahme: „Unser alltägliches Konzeptsystem, nachdem wir sowohl denken, als auch handeln, ist im Kern und grundsätzlich metaphorisch. Zitatende. Was heißt jetzt aber Konzept? Ich verstehe den Begriff Konzept als eine Menge x an zusammengehörigen Daten hinter einem sprachlich codierten Begriff, die aus Erfahrung entstanden sind und die uns in der Welt einordnen und sinnvoll verorten.

Weiterhin definiert Lakoff den Begriff Metapher wie folgt: „Das Wesen der Metapher besteht darin, daß wir durch sie eine Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bezw. eines Vorgang verstehen und erfahren können.“ Bei dieser Aussage erinnere ich mich spontan an meinen Politikunterricht in der Mittelstufe, in der der Begriff „Erklären“ dadurch definiert wurde, dass eine unbekannte Sache mit einer bekannten verglichen wird. Mit anderen Worten: mittels Metaphern erklären wir uns die Welt.
Bei der Metapher gibt es jedoch zwei Seiten der Medaille: bei der Verwendung einer Metapher liegt der Fokus auf einem bestimmten Aspekt innerhalb eines Konzeptes und lenkt von anderen Aspekten ab. Die Metapher beleuchtet und verschleiert zugleich.
Hier zeigt sich eine erste Verbindung zur Kreativität: Ich greife erneut auf Vollmer zurück: „Sowohl Baudelaire als auch Adorno stellen dagegen den Rätselcharakter kreativer Werke heraus, die etwas sichtbar machen und zugleich verstecken. Mit seiner Überlegung, dass Kunst als Versuch, neue Ordnungen zu erstellen, zu verstehen ist, knüpft Arnheim an dieser Argumentation an.“

Lakoff unterscheidet vier Metaphern-Arten: Zuerst die Struktur Metapher, die darin besteht, dass das Konzept X durch Konzept Y metaphorisch strukturiert wird. Zweitens die Orientierungsmetapher: diese ist abhängig von physischen und kulturellen Erfahrungen und bezieht sich auf die Verortung im Raum. Die dritte Metaphernstruktur ist die ontologische Metapher, sie steht für Sichtweisen von Ereignissen, Aktivitäten aber auch Emotionen oder Ideen. Die letzte Unterscheidung ist die Gefäß-Metapher: hier geht es primär um Land und Territorien, also Räume als Grenze und die Blickfelder darauf. Das Land selber wird metaphorisch als Gefäß verwirklicht, in dem man sich entweder befinden kann oder zu dem man sich in irgendeiner Position befindet, abhängig eben vom Blickwinkel auf dieses spezielle Land. Darüber hinaus kann ich durch die Metapher personalisieren oder metonymisieren, also Eigenschaften übertragen. Ich kann sagen, „das Buch bei Dussmann hat mich so freundlich angelächelt, da konnte ich nicht widerstehen“ oder „der Goethe hat mich heute aber geärgert“ und es ist klar, was damit gemeint ist.

Innerhalb der Metapher findet eine Bewegung von der Ausgangsdomäne zur Zieldomäne statt. Um diese Bewegung vollziehen zu können, dass heißt, konkret, die Aspekte eines Konzeptes auszuwählen, die ich für die Metapher benötige, muss ich aber bereits eine Vorstellung davon haben, auf welche Aspekte ich den Fokus legen will, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken will.
Dieser Prozess scheint sich innerhalb einer Schleife zu vollziehen, die sich gut mit der Basalganglienschleife vergleichen lässt, mittels derer Bewegung im Gehirn geplant und ausgelöst wird. Das wird mit folgendem Beispiel gut illustriert: Ich sehe eine Tasse mit Kaffee und möchte den Kaffee trinken. Diese Idee wird vom Frontallappen via Basalganglienschleife zum Kleinhirn geschickt, wo die Stellung meines Körpers im Raum und zur Tasse überprüft wird, von dort geht es zurück zum Frontallappen, guckt unterwegs im limbischen System, wie lecker der Kaffee ist und wie durstig ich bin und nach einigem Hin und Her greife ich dann endlich nach der Tasse, führe sie zum Mund und trinke. Wobei das Hin und Her extrem schnell und unbewusst passiert.


Genau dieser Vorgang muss sich auch bei der Bildung der Metapher vollziehen, nur dass hier Aspekte einer Information, Aufmerksamkeit, Kontext und Situation sowie Kommunikationspartner die entscheidenden Variablen sind.

Lakoff führt aus, dass die Metapher unentbehrlich für die wissenschaftliche Innovation sei. Einerseits als Forschungsobjekt, um Sprache und Denken zu verstehen, also das, was die kognitive Linguistik untersucht. Aber auch als Denkstrategie und Prozess, wie ich mit wissenschaftlichen Problemen umgehe, um Erkenntnisse zu gewinnen und Lösungen zu finden.
Um den Prozess der Metaphernbildung besser zu verstehen, komme ich nun zum Conceptual Blending nach Fauconnier und Turner.
Blending ist ein kognitiver Prozess, der in der Auswahl und Anordnung von Konzeptelementen besteht, die in neue Bedeutungskonzepte überführt werden und die von einer gemeinsamen Kultur und Sprachgemeinschaft verstanden werden können. In der Rekonstruktion dieser Prozesse besteht eine Möglichkeit, sprachliche Phänomene zu analysieren und diese für wissenschaftliche Fragen nutzbar zu machen.
Die Fähigkeit des Blending setzt Erfahrung und Wissen über diese Erfahrung voraus. Erfahrung und Wissen werden in Sprache codiert und das Sprachsystem selber besteht wiederum aus Syntax und Semantik. Conceptual Blending verknüpft nun semantische Teilmengen zu einer neuen Vorstellung: der Metapher.
Innerhalb des Spracherwerbs hat Michael Tomasello die Verbinsel-Konstruktion als Grundlage für sprachliche Realisation herausgearbeitet. Das Verb übernimmt eine Kernstellung, welche durch variable Mitspieler ergänzt wird. Als Vergleich bietet sich hier die Silbenstruktur an, mit ihrem Kern, Kopf und Reim. Salopp ausgedrückt lässt sich das so auf den Punkt bringen: Was der Silbe ihr Vokal, ist der Metapher ihr Verb. Um eine Metapher zu verstehen, muss man demnach das Verb in seiner Beziehung zu den Mitspielern untersuchen.

„Hinter dem Deich, aber nicht hinter dem Mond“


Ich möchte dies nun an einem Beispiel aus der Werbung illustrieren. Die Werbung erschien mir dabei aus zwei Gründen sinnvoll. Erstens, weil Werbetexte Funktionstexte sind. Ihre Funktion besteht darin, zu verkaufen. Zuerst wird beim Rezipienten ein Bedürfnis geweckt und darauf aufbauend einen Kaufwunsch auszulösen, um das Bedürfnis zu befriedigen. Kurz AIDA: Attention – Interest – Desire – Action. Mehr muss Werbung nicht leisten und genau das ist aber auch die Herausforderung.

Weiterhin wird Werbung mit kreativem Tun assoziiert. Werbetexter und Graphikdesigner werden als „Kreative“ bezeichnet. Damit ist wiederum eine Erwartungshaltung an das Werbe-Medium verbunden. Der Rezipient erwartet eine kreative, überraschende und innovative Lösung der Kauf-MICH-und-nicht-die-anderen-Problematik, die diese gleichzeitig verschleiert. Es scheint also naheliegend, das Werbung und Werbende offensichtlich in besonderem Maße mit Metaphern und damit Conceptual Blending operieren (müssen).
Werbung besteht für mich aus drei Ebenen: einer ästhetischen Ebene, einer funktionalen und einer sprachpragmatische Ebene. All diese Ebenen vereinen sich im kreativen Output.

Das Beispiel entstammt der Imagebroschüre der Druckerei Clausen& Bosse in Leck, die zur CPI Gruppe gehörend eine der sechs größten Druckereien in Europa ist. Kurz zur Funktion: eine Imagebroschüre richtet sich an den Kunden, der sowohl Endkunde, als auch Business-to-Business sein kann. Endkunde ist zum Beispiel Onkel Heiner, der die Einladungen zu seinem 50sten Geburtstag drucken lässt. Business-to-Business sind Firmen, die wiederum eigene Produkte für Endkunden produzieren, in diesem Fall also Verlage, an die sich diese Broschüre auch wendet. Bei der Imagebroschüre geht es, wie der Name bereits vermuten lässt, mehr um die Darstellung des Unternehmens, seiner Corporate Identity und der kommunizierten Unternehmensphilosophie und weniger um das eigentliche Produkt, das Drucken von Druckerzeugnissen.


Die Frage, die eine Imagebroschüre beantwortet, ist diese: Wie sehen wir uns als Unternehmen selbst und wie möchten wir gesehen, vom Kunden wahrgenommen werden?

Die Seite der Imagebroschüre, auf die ich mich beziehe, zeigt im Hintergrund das Foto eines Schafes auf einer Wiese, welches in die Kamera schaut. Auf der davorliegenden Ebene befindet sich ein weiß unterlegter Textblock, darüber eine frei gesetzte Überschrift.
Daraus wird bereits deutlich, dass es eine Bild- und eine Textebene gibt, die sich in ihren Aussagen ergänzen, verstärken oder auch widersprechen können. Text und Bild sind damit immer zusammengehörige Aspekte, die die Werbeaussage transportieren.
Die frei gesetzte Überschrift besteht aus dem Wort „grotesk“. Das können wir recht zügig als ästhetische Spielerei einordnen. „Grotesk“ wird hier einmal als Homonym verwendet, um a) einen Bezug zu Bild und Text herzustellen, der auf der Erzählebene eine Kommentarfunktion darstellt, wobei offenbleibt, wer kommentiert und b) als Referenz auf die Schriftart „Grotesk“, die eine serifenlose Schrift aus der Antiqua benennt. ( Der Vortrag in der Leseversion ist zum Beispiel mit der Times New Roman geschrieben, eine ebenfalls aus der Antiqua abgeleitete serifen-betonten Schrift. Serifen sind Querlinien – total wissenschaftlich ausgedrückt: die kleinen Nupsis – an den Enden der Buchstaben.) Mit der Verwendung des Schriftnamens wird also der Produktbezug in den Vordergrund gestellt, da Bücher aus Schriften gesetzt werden und die Art der Schrift einen wesentlichen Beitrag zum ästhetischen Gesamterscheinen, der Lesbarkeit und der Referenz auf den Leseinhalt hat.
Beide Bedeutungen zusammen erfüllen die Funktion der „Aufmerksamkeit“, die dann zum Text gelenkt wird.
Der Textblock besteht aus einer Überschrift in einem vom Textblock abgesetzten eigenen Block. Darunter befindet sich der mittig im Bild ausgerichtete schmale Textblock. Im Verbund mit dem sogenannten Teaser „Grotesk“ ergibt sich ein auf dem Kopf stehendes Ausrufungszeichen, welches inhaltlich wieder zum Kommentar „grotesk“ in Beziehung gesetzt werden kann.
Ich möchte mich jedoch hier auf die Überschrift des Fließtextes konzentrieren. Diese lautet: „Hinter dem Deich, aber nicht hinter dem Mond“.
Die drei Fragen, die sich stellen, sind diese: Ist das kreativ? Wie und wo wird hier mit Metaphern und Conceptual Blending gearbeitet und welche kreativen Prozesse hat der Texter durchlaufen, um darauf zu kommen?

Die Tatsache, dass der Kunde, also die Druckerei, diese Überschrift freigegeben hat, ist bereits der Beweis, dass zumindest das Unternehmen hier einen kreativen Akt mit Überraschungseffekt erkennt, der mit der Selbstdarstellung des Unternehmens im Einklang steht.
Aber nun zur Metapher: Ausgangspunkt ist die bereits etablierte Metapher „Hinter dem Mond“ die einen Seins-Zustand beschreibt, den man als uninformiert, dumm, „hinterwäldlerisch“, ahnungslos, nicht auf dem neuesten Stand sein, etwas verpassen, nicht mitbekommen, beschreiben kann. Der Seins-Zustand wird durch die Position und Entfernung zu einem Gegenpol, in dem Fall der Erde zum Mond beschrieben. Damit werden der Erde eben jene Attribute zugesprochen, die für die Position hinter dem Mond negativiert werden. Es sind demnach zwei entgegengesetzte Positionen und Pole, an denen sich zwei Sprecher befinden. Der Verweis auf die geografischen Orte Erde und Mond ist eine rhetorische Übertreibung, um das Ausmaß des Nichtwissens zu illustrieren, und in sich schon wieder eine Metapher, da niemand real hinter oder auf dem Mond leben kann.
Die Überschrift beginnt jedoch mit der Aussage „Hinter dem Deich“… die auf etwas verweist, was dort ist oder passiert. Auch hier findet eine Verortung mit den Positionen vor und hinter statt, wobei an dieser Stelle nicht klar wird, wo sich Sender und Adressat befinden, ob sie sich auf der gleichen oder gegenteiligen Position befinden. Narratologisch findet ein Spannungsaufbau statt, da es offensichtlich hinter dem Deich etwas gibt, was entdeckt werden kann, was sich dem Leser aber noch nicht zeigt. Mit dem zweiten Teil der Überschrift wird die Spannung aufgelöst: aber nicht hinter dem Mond. Die Dekodierung erfolgt mittels des „aber“, als Konjunktion, die auf die Schnittmenge der Aspekte verweist, die hier gemischt werden. Der Seins-Zustand hinter dem Mond wird auf den Seins-Zustand hinter dem Deich übertragen und negiert. Dies funktioniert jedoch nur über bereits etablierte Assoziationen und Wissen über die geografischen Lage und spezifische Eigenschaften, die der dort ansässigen Bevölkerung zugeschrieben werden. Das Unternehmen ist in Leck, einem sehr kleinen Ort im Norden Deutschlands, nahe der dänischen Grenze, mit anderen Worten: auf dem platten Land. Dieser Teil des Landes lebt primär vom Tourismus und Landwirtschaft. Industriezentren sind weit entfernt und Lieferwege damit lang, was man auch auf die Kommunikationswege übertragen könnte. Den dort lebenden Menschen wird ein norddeutsches Gemüt zugeschrieben, was sich stereotyp durch Wortkargheit, Kauzigkeit, Ehrlichkeit und Direktheit, aber auch Distanz und Emotionslosigkeit beschreiben lässt. Auch Entfernungen werden „norddeutsch“ wahrgenommen, von einem international verbundenen Europa im Sinne eines „die Welt ist ein Dorf“ ist der Norddeutsche meilenweit entfernt, da er eine Reise von Friedrichstadt nach Husum, einer Strecke von fünfzehn Kilometern, bereits als Weltreise und große Fahrt einordnet. Das passt nun so gar nicht zu einem international operierenden Unternehmen, welches sich weltoffen, kreativ und künstlerisch, kommunikationsfreudig und kundenorientiert versteht. Diese Stereotype werden vom Unternehmen humorvoll aufgegriffen, um sich selbst dazu im Gegensatz zu verorten und auch die Metapher ins Gegenteil zu verkehren. Gerade die geografische Lage am Rande, geschützt durch den Deich führt zu einem besonders guten und ablenkungsfreien Überblick. Humor zu zeigen bedeutet für ein Unternehmen ein gewisses Maß an Mut, welches hier für Selbstvertrauen und Kompetenz steht. Nur wer seinen Wert kennt, kann sich diesen Humor leisten und damit Souveränität ausdrücken.

Obwohl in der Überschrift die Verben elliptisch herausgekürzt wurden, sind sie die zentrale Schnittstelle zum Verständnis: Das Sein im Raum; und zwar in Relation von „wo bin ich“ und „wo bist Du“. Den Orten werden dabei bestimmte positive und negative Eigenschaften zugeschrieben, die sich auf die dort seiende Person übertragen. Erst durch die Übertragung von Aspekten der Metapher „Hinter dem Mond“ wird „Hinter dem Deich“ selbst zur Metapher, und zwar in diesem Kontext.

Das kreative Moment ist dieser Übertragungsaspekt auf die geografische Verortung und die analoge Positionierung „hinter dem Deich“, denn vom Land aus gesehen, liegen Unternehmen und Ort ja vor dem Deich. Kehrt man die Blickrichtung um, und blickt von der Seeseite aus aufs Land, dann befindet sich das Unternehmen hinter dem Deich, betrachtet sich selbst aus einer gedachten Distanz und nimmt so zwei Positionen ein. Eine geografische, reale Position und eine gedachte, die zu der Erkenntnis führt, dass man hinter dem Deich eben doch den besseren Überblick hat, was die normative Einschätzung des Ausgangsblickes von der, wie auch immer definierten – Mitte zur Landesgrenze als bessere oder qualitativ höher bewertete kritisiert.
Der kreative Output besteht in der Bildung einer Metapher durch eine andere, die ein Stereotyp aufgreift und dieses negiert. Narratologisch spricht das Unternehmen (Metonymie) zum Leser und beweist Souveränität durch Humor, in dem es sich selbst zur Metapher „hinterm Mond“ in Beziehung setzt.

Fazit


Ich habe versucht zu zeigen, dass Kreativität die Ausprägung der Fähigkeit ist, konvergentes und divergentes Denken lösungsorientiert zu kombinieren. Das dabei auf Conceptual Blending als Grundlage metaphorischen Denkens zurückgegriffen wird und das Bilddenken nicht von der sprachlichen Ebene zu trennen ist.
Jede Benutzung von Metaphern stellt insofern bereits einen kreativen Akt dar. Was wir bewusst als kreativ empfinden, ist die subjektiv wahrgenommene Ausprägung der Originalität, d.h. die Unerwartbarkeit oder der situations- und kontextbedingte Überraschungseffekt ebendieser.
In einem Ausblick führt das weiter zu der Frage, wie Kreativität in der Wissenschaft genutzt werden kann. Denken wir an „Design Thinking“ oder die schlichte Aufforderung von Dozenten: seien Sie kreativ bei der Ausarbeitung der Präsentation. In diesen Überlegungen steckt die Frage, wie wir mit Sprache in der Wissenschaft umgehen. Wie definieren wir wissenschaftliche Sprache? Denn wenn wir jedes sprachkreative Potential und damit auch Offenheit und Mehrdeutigkeit in der Sprache als unwissenschaftlich diskreditieren, dann reduzieren wir Sprache auf Zeichen, die nichts mehr mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun haben.
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Denken wir auf neuen Wegen. Denken wir kreativ.


Literatur

Fauconnier, Gilles; Turner, Mark (2002): The way we think. Conceptual Blending and the mind’s hidden complexities. Basic Books. New York.
Holm-Hadulla, Rainer (2007): Kreativität. Konzept und Lebensstil. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen.
Jacob, Nora-Corina (2016): Kreativität und Innovation. Springer. Wiesbaden.
Lacoff, George (1998): Leben in Metaphern Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Carl Auer. Heidelberg.
Lehmann, Konrad (2018): Das schöpferische Gehirn. Springer. Berlin. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54662-8_6 (e-book)
Nöth, Winfried (2000):In: Handbuch der Semiotik. 2. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Metzler. Stuttgart.
Vollmer, Barbara (2020): Kreativität – Handeln in Ungewissheit. Springer. Wiesbaden.