Schreiben Textperimente

Schreiben II

Ich habe meinen Meister gefunden. Ich lese wieder Roland Barthes. Die Lust am Text. Das ist der Titel. Als ich das Buch als Photo auf Instagram postete, schrieb ich dazu, dass ich einen auf dicke Hose machen könnte, weil mein Text Die Lust am „E scheinbar darauf zu rekurrieren scheint. Da wäre ich nicht die Erste und es wäre trotzdem eine schöne rhetorische Geschmeidigkeit. Nun gut, belassen wir es dabei. Weiter schrieb ich, dass ich tatsächlich nicht wusste, dass es dieses Buch gibt und so nahm ich es als Zeichen, dass wir schwingen, der Roland und ich und uns im gleichen Literaturresonanzfeld befinden.

Ein Kompositum, das ich dann gerne für mich reklamieren möchte. Hat das schon jemand mal gesagt, geschrieben oder gedacht? Literaturresonanzfeld. Ich mag das Wort. Wie nun auch immer, das Lesen in „Die Lust am Text“ ist eine ernste Angelegenheit und ich verliere mich zwischen den wenigen Seiten des Buches. Ich hatte mich bereits Murakami hingegeben, also seinem Buch Südlich der Grenze, westlich der Sonne und ganz generell scheine ich mich Literatur einfacher hingeben zu können.

Ich bin auch ein bißchen stinkig. Ich hatte über das Schreiben geschrieben, über den Wahnsinn und die Lust und das Geräusch, wenn der Stift über das Papier kratzt und ich glaubte, meine Lust am Schreiben würde in meinen Texten durchscheinen. Es war das Gefühl, was mich ausfüllte, diese Lust im Schreiben, durch das Schreiben. Und das ist es jetzt auch noch. Ich will dieses Gefühl erforschen, ausloten, analysieren und auskosten. Ich will das Schreiben schmecken. Und jetzt kommt dieser Roland Barthes und schreibt einfach so Sätze, die ich gefühlt habe, die in mir darauf warteten, geschrieben zu werden.

Der Text, den ihr schreibt, muß mir beweisen, daß er mich begehrt. Dieser Beweis existiert: es ist das Schreiben. Das Schreiben ist dies: die Wissenschaft von der Wollust der Sprache, ihr Kamasutra (für diese Wissenschaft gibt es nur ein Lehrbuch: das Schreiben selbst).

Roland Barthes, Die Lust am Text. S. 12.

Oh Gott, wie ich ihn hasse, dafür, dass er diesen Satz geschrieben hat (na gut, eher aus dramaturgischen Gründen). Ich hätte ihn gerne selbst geschrieben. Und das ist wahr. Ich lese in diesem Buch und ich fühle diese Lust am Text … körperlich. Ich habe diese Erregung des Geistes durch die Sprache bei Walter Benjamin gefühlt und bei Waldenfels und auch bei Umberto Eco und eben bei Barthes. Schon in Am Nullpunkt der Literatur. Haben Sie schon einmal miterlebt, wie es ist, wenn jemand zum Beispiel über Benjamin spricht und Benjamins Worte Gedanken in diesem Menschen formen und die Schönheit dieser Gedanken aus dem Menschen, aus dem Körper strahlt. Das ist die poetische Magie des Textes, das Lusterleben im Text. Als wenn die Gedanken und die Wörter wie eine Aura aus kleinen Lichtpartikeln aus dem denkenden Körper nach außen fließen. Und das ist wunderbar.

Ich sitze in meinem Schreibzimmer und lese Roland Barthes (und denke ihn französisch) und ich will schreiben und die Lust am Schreiben ist wie der der Hunger nach der ersten Berührung eines Kusses. Dieses sehnsüchtige Warten auf den Satz, wie er sich auf dem Papier ergießt und die fiebrige Erregung im Schreiben, die meinen Körper befällt. Und da kommt er einfach daher und schreibt über Wahnsinn und Wollust und Lust und ich bin fassungslos.

Das Ineinandergreifen von Sexualität und Sprache begleitet unser ganzes Leben. […] Wenn man den Koitus analog zum Zwiegespräch auffasst, liegt es nahe, daß Masturbation dem Monolog oder dem Selbstgespräch gleichzusetzen ist.

George Steiner, Nach Babel. S. 36.

Ich gehe zurück zu dem Gedanken, dass ich den Namen – Roland Barthes – auf französisch denke. Und da muss ich an den alten Schlingel George Steiner denken. Ich denke in der Sprache, die letztlich meine Wahrnehmung bestimmt, wenn ich nach der Sapier-Whorf-Theorie gehe. Das bedeutet, jemand denkt in einer Sprache, seiner Sprache. Und das ist in meinem Fall Deutsch. Das ist fragmentarisch auch Englisch, weil mir die Sprache entrissen wurde, bevor ich sie mir ganz zu eigen machen konnte. Das bedeutet aber auch, dass ich nie Selbstgespräche auf Französisch führen könnte… Honi soit qui mal y pense.

Was macht das mit der Lust am Text? Ist Literatur ein Zwiegespräch des Autors mit sich selbst oder ein über die Zeit und den Raum gestreckter Dialog mit dem Leser? Ist Literatur eine offene Einladung an den Leser … seine Verführung? Sartre sagt, es brauche den Leser, um den Text erst zum Text zu machen. Und dann sagt er noch ein bisschen was über Freiheit.

Die Lust am Text wäre nicht reduzierbar auf sein grammatisches (phäno-textuelles) Funktionieren, so wie die Lust des Körpers nicht reduzierbar ist auf das physiologische Bedürfnis.

Roland Barthes, Die Lust am Text. S. 26.

Es geht nicht um Körper. Es geht um die Geheimnisse im Text, um das kunstvolle Verstecken und das lustvolle Suchen und Finden von Sinn und Ordnung und Bedeutung und Chaos, die die Wörter zwingen, eine Form einzunehmen und die durch die Wörter erst nach außen lebendig werden.

Ist doch mein Reden. Genau das habe ich in „Schreiben ist sexy“ gesagt. Ich muss nicht über Körper schreiben. Ich muss über das schreiben, was im Fühlen und Wollen passiert. Es ist das Denken. Es ist immer das Denken. Er hat es gefühlt und ich fühle es jetzt. Aber die Sätze sind geschrieben und so sind meine Worte kein allererster Kuss mehr. Immerhin oder vielleicht doch auch Schicksal, Roland Barthes schrieb Die Lust am Text in dem Jahr, in dem ich geboren wurde. Darf ich das bitte als Zeichen werten? Darf ich ihn als Lehrer nehmen, der mir die Lust am Schreiben erklärt, der sie für mich sinnlich wahrnehmbar und denkbar macht. Darf ich mich an seinen Worten berauschen, um meine eigenen zu finden?

Das ist eine andere Ebene des Schreibenlernens. Ich lerne das Handwerk und das sehr gründlich. Stephen King schreibt sehr schön über den Werkzeugkasten. Und auch etwas zur Lust, die klingt durch. Aber das hier, mit Roland Barthes, das ist was anderes. Das ist Schreiben an der Quelle des Triebes, an seinem Ursprung, das ist lernen, den Schreibdämon zu erkennen und zu beherrschen , anstatt sich von ihm beherrschen zu lassen und sich im Schreiben zu verlieren. In Büchern darf man sich verlieren, im Schreiben selber auch, aber den Schreibtrieb, der will kontrolliert werden. Aber warum? Weil der Schreibdämon einen in den Wahnsinn treiben würde? Weil dann kein Schreiben passieren würde? Weil das Schreiben im Wahnsinn nie aus der Ebene der Gedanken ausbrechen könnte, um lesbar zu werden …

Know thyself, erkenne den Schreibdämon. Das ist es, die Suche nach den eigenen Worten, nach der eigenen Geschichte, die nur von mir erzählt werden kann. Meine Geschichte. Mein Schreiben.