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Mit Murakami in der Badewanne

Mein erster Murakami. Südlich der Grenze, westlich der Sonne. Der Titel, den ich mir ausgesucht habe. Ob es eine gute Wahl war, mit diesem Buch einzusteigen? Ich weiß es nicht und es ist zu spät. Und so, wie Hajime schon als Kind begreift, dass es sinnlos ist, über Dinge nachzudenken, die man nicht beeinflussen kann, deren Verlauf unabänderlich ist, so verhält es sich mit mir und meinem ersten Murakami.
Er ist gelesen und er wird immer mein erster Murakami sein.

Ich wusste nicht wirklich, was mich mit diesem Buch erwartet und ich hatte auch keine Vorstellung, was mich mit Murakami ganz generell erwartet. Aus einer Laune heraus, und sonst mache ich das nicht, legte ich mich zum Lesen in die Badewanne.

In der ersten Übersetzung ( und es muss wohl eine literarisch deprimierende Übersetzung einer noch viel deprimierenderen US-Englischen Übersetzung des Orginals gewesen sein, so las ich zumindest) hieß das Buch noch „Gefährliche Geliebte“. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

Ich liege nackt in der Badewanne, was an sich schon obszön ist, es zu denken, geschweige denn, es laut auszusprechen. Das mag daran liegen, dass ich dem Körper nicht so viel Bedeutung beimesse. Oder dem Bewusstsein mehr als der Hülle. Ich bin Genussleser. Ich konsumiere Bücher wie, wenn ich es mögen würde, man einen kostbaren Wein trinkt. In Schlucken. (Zwei Spechte … da mopst mich der Hafer und der Harry Rowohlt).

Ein Buch ist eine eigene Persönlichkeit, die sich durch mein Lesen entfaltet und in meinem Lesen Gestalt annimmt.

Das erfordert ein gewisses Maß an Respekt und Leidenschaft. Also gebe ich mich wie eine Geliebte dem Buch hin und trete seiner Geschichte hüllenlos entgegen. Es fühlt sich in der Tat befremdlich an, diese Nacktheit vor dem Buche. Als ob die Seele des Buches aus den Seiten heraus auf mich schauen könnte. Auf den nackten Körper im milchtrüben Wasser in der Badewanne, aus der vanilliger Dampf empor steigt und das Fenster beschlagen lässt.

Der Anfang gefällt mir gut und das murakamische Schreiben kommt meiner Art in Prosa zu denken entgegen. Sex interessiert mich nicht. Und mit dem alten Titel hätte ich die Sache vermutlich erst gar nicht in die Hand genommen. Südlich der Grenze, westlich der Sonne impliziert, dass da mehr ist, als das Problem, was eine Geliebte handelsüblich eben so mit sich bringt. Der Sex in diesem Buch hält sich in Grenzen. Ich empfinde ihn als steril, als teils erstaunte Beobachtung von Reaktionen von Körpern. Und das lässt sich gut aushalten. Im Gegensatz dazu ist das Empfinden von Hajime ganz und gar nicht steril. Ich glaube, ich verstehe ihn ganz gut. Also schlage ich mich auf seine Seite. Trotz Izumi. Oder vielleicht auch gerade weil ich mich nicht in sie hineinfühlen muss.

Der Schmerz ist greifbar.

Und Schmerz ist mein Thema. Es ist mir egal, ob es um das schmerzhafte Lieben von Shimamoto geht, um das schmerzhafte innere Sterben von Izumi. Ich lese den Schmerz aus den Seiten heraus. Und er trifft mich schutzlos. Die Geschichte umfließt mich und ich vergesse den Raum und den nackten Körper und das kalte Wasser und das beschlagene Fenster.

Ich hadere mit Murakami wegen Yukiko. Der Schmerz ist da, aber sie ist wie eine Randfigur, ein nicht richtig passen wollendes Teilchen in diesem Dreigestirn aus Schmerz, den Hajime mit Izumi und Shimamoto teilt. Und ich verstehe Hajime nicht. Er liebt und liebt nicht und dann wieder doch und mit Yukiko ist es ja auch alles sehr praktisch und überschaubar und berechenbar.
Es gibt Liebe, die nicht dazu gedacht ist, gelebt zu werden, weil sie zerstört.

Und es gibt Liebe, die gelebt werden kann, die nicht diese zerstörerische Kraft hat und die grundsolide ist und wunderbar und alles, was man sich nur wünschen kann. Die zerstörerische Liebe ist wie eine Droge, und einmal gekostet, gibt es kein Zurück, genauso wenig wie es kein Entrinnen gibt vom Schmerz und keine Heilung.

Der Schmerz aus dem Buch perlt wie Wassertropfen vom Knie den Schenkel herunter, der aus dem trüben Wasser ragt. Der Schmerz ist das Wasser und das Leben. Fluch und Segen zugleich wie das Fruchtwasser, in dem das Ungeborene gedeiht, lässt es mich mit der letzten Seite zurück.
Das nackte Lesen. Murakami und ich. In einer Badewanne.


Haruki Murakami; Südlich der Grenze, westlich der Sonne. 1.Aufl. 2015. btb Verlag, Gruppe Randomhouse. München. 224 S.