Schreibworkshop

little blogshop | Themenhänger und Schreibblockade oder Wie entsteht Kreativität?

Unsere Leser sind hungrig. Was also tun, wenn uns partout nichts einfallen will? Keine Idee, kein Photo als Aufhänger, kein DIY. Oder die Idee ist da, aber gähnende Leere auf dem Bildschirm. Die Wörter wollen nicht zusammen finden, sich keine Sätze bilden. Alles hört sich doof an, nichts erscheint so richtig passig. Nicht immer tritt uns die Muse ins Kreuz, nicht immer sind wir voll von Inspirationen und Visionen. Aber wer mag sich schon durch einen Artikel quälen, wer will sich schon mühsam ein paar Gedanken abringen, die sich dann auch genauso bemüht lesen lassen. Nein, wir wollen unseren Lesern doch was bieten!

Kreativität hat viele Gesichter und so wagen wir einen Ausflug in die Welt der magischen Buchstaben und verzauberten Worte. Die entstehen nämlich im Kopf. Gucken wir uns das mal genauer an. Das Sprachzentrum ist ein wenig auf das Gehirn verteilt. Gleich vorne hinter der Stirn finden wir das Broca-Areal. Hier werden Laute und Worte gebildet. Das Sprachverständnis hingegen, das Wernicke- Areal liegt am Hinterkopf (nach neuesten Forschungen jedoch VOR dem auditiven Areal, also Hinterkopf hier als grobe Richtung). So weit, so gut.

Aber was nutzt uns das, wenn wir Worte nicht mit unseren Gefühlen koppeln können, die wiederum mit unserem Gedächtnis eng verbunden sind. Diese beiden liegen im limbischen System hinter (im Sinne von innen) den Ohren. Wir brauchen also verschiedene Stellen im Gehirn, die ihre Informationen austauschen, damit wir dann einen mehr oder weniger bedeutsamen Satz bilden können.

Ich stelle mir das als großes Unternehmen mit ganz vielen kleinen Büros vor. Diese Büros verwalten Lager, in dem Fall Schubladen-Lager (Vintage –Design). Hinter der Stirn sitzt der Antrieb und beschließt, einen Satz über einen Baum zu schreiben. Er schickt ein Memo an die verschiedenen Büros, wo dann emsige kleine Zwerge wie bei Gringotts (die Bank bei Harry Potter) losflitzten, um nach passenden Schubladen zu suchen. Zuerst prüft der Zwerg in der Erinnerung, welche Bäume gespeichert sind, dann schickt er diese an das Gefühl und der vergleicht jeden Baum mit dem dazu abgelegten Gefühl, daraus wird dann eine Zusammenfassung an den Antrieb geschickt. Der Antrieb überlegt, in welchem Zusammenhang der Baum überhaupt geschrieben werden soll und dann geht die Vorauswahl zurück, es werden nochmal nach mehreren passenden Gefühlen gesucht, dann nach Worten, die zu den Gefühlen passen, Zwischenbericht an alle Abteilungen … plötzlich drückt die Blase oder das Riechzentrum meldet Kaffeeduft.

Und in Wahrheit sind es natürlich keine Zwerge, sondern Neuronen, die elektrische Impulse geben. Sehr (sehr) vereinfacht und funktional (extrem) runtergebrochen sieht es so aus: Diese Neuronen (Nervenzellen) bestehen aus zwei ganz wichtigen Stellen, einem Axon (Verlängerungskabel) und Dendriten (Gegenstücke für die Antenne am eigentlichen Nervenzellkörper). Das Ende eines Axons dockt dementsprechend an einem Dendriten einer anderen Nervenzelle an. Die Weiterleitung findet elektrisch statt, was man mittels EEG (Elektro-Enzephalo-Gramm) messen kann.² In den meisten Fällen wird der elektrische Impuls am synaptischen Spalt (der Übergang zwischen Dendrit und Axon) kurz in einen chemischen Impuls umgewandelt, der Spalt überquert, zack, zurück in den elektrischen Impulsmodus und weiter geht’s. Und das alles rasend schnell.

Neurophysiologen kriegen jetzt kleine Hörnchen, weil das halt alles sehr vereinfacht ist. Aber wie wollen hier ja keine Gehirnforschung betreiben, sondern nur anschaulich verstehen, worum es überhaupt geht.
Beim Denken zugucken klappt nicht, schreibt Euch das hinter die Ohren! Und das war jetzt gar nicht frech, sondern Feldforschung von Redewendungen: Ohren, Temporallappen, Limbisches System – Gedächtnis. Na, klingelt‘s? Seit der Bildung des Gehirns aus dem äußeren Keimblatt während der Schwangerschaft bilden Nervenzellen Verknüpfungen. Je direkter die Verknüpfung, umso schneller. Aber das mit den Zwergen und den Schubladen gefällt mir viel besser.

Diese Verknüpfungen wären nun so ein bißchen wie ein post-it an der Schublade. Ohne post-it müßte der kleine Zwerg mit der Schublade erst zu seinem Schreibtisch und in einer Liste nach dem passenden Büro gucken, dann eine Nachricht fertig machen und – vielleicht haben die ja auch so eine Rohrpost? – losschicken. Wir haben Massen, unendliche Massen von Verknüpfungen im Gehirn. Für’s Zähne putzen, für das „Danke schön“, wenn wir ein Geschenk bekommen, für das Gefühl, wenn wir plötzlich vor Brad Pitt stehen würden … Jede Situation, jeder Gedanke, jeder Bewegungsplan, jedes Gefühl, wird daraufhin kontrolliert, ob und wie es verschaltet ist. Und wenn wir vor einer neuen Situation stehen, dann muß neu verschaltet werden. Und das Gehirn vergleicht mit bereits Vorhandenem und leitet daraus die neue Verknüpfung ab. Das nennt man Lernen.

Kreativität setzt da an, wo metaphorisch und wortwörtlich ausgelatschte Pfade verlassen werden.

Neue, ungewöhnliche – kreative – Verschaltungen. Verknüpfungen, die bisher nicht notwendig, relevant oder Sinn machend erschienen. So wie Mayonnaise auf Schokotorte. Wir schreiben also kleine post-its und kleben sie an unsere Schubladen, um solche Schubladen zu verbinden, die vorher entweder gar nicht oder nur über diverse Umwege zusammen benutzt wurden. Und da ist es nur logisch, daß es besser ist, wenn wir möglichst viele Schubladen haben, aus denen wir auswählen können.

Mit anderen Worten, wir brauchen Erinnerungen, Erfahrungen, viele abgespeicherte Gefühle, einen großen Wortschatz, aber auch Bewegungen. Ein Bildhauer zum Beispiel braucht Kraft und das sogenannte Fingerspitzengefühl, um ein Detail präzise herauszuarbeiten. Wenn wir kreativ sein wollen, müssen wir also zwei Voraussetzungen erfüllen. 1. Wir müssen für gefüllte Schubladen sorgen. 2. Wir müssen neue post-its schreiben.

Konkret bedeutet das, daß wir leben müssen, Erfahrungen sammeln, Dinge ausprobieren, kennen lernen, machen und tun, fühlen, erleben und erfahren. Und dann müssen wir all das sammeln, sortieren und nach Verbindungen suchen. Und zwar nach solchen, auf die man vielleicht nicht sofort kommt.

Wie könnte das nun so aussehen?

Was die zu füllenden Schubladen angeht, ist es leicht. Julia Cameron nennt das in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ den Künstlertreff. Ein individuell zu planendes Zeitfenster, in dem man etwas für sich tut, etwas unternimmt, einfach, um Spaß zu haben. Ich schlage den Mini-Retreat vor. Ein Retreat ist eine Auszeit. Nun heißt das nicht, daß Ihr alle spontan 4 Wochen in einem Kloster verbringen sollt. Ein Mini-Retreat, eine kleine Auszeit vom Alltag, kann auch ein Bad sein, mit Musik und Kerzen, eine Meditation, ein Besuch eines Cafés, ein Museumsbesuch, ein Workshop, Kekse backen, Sport machen. Also alles, was Euch entspannt und Freude bereitet. Die einzige Aufgabe dazu ist: bewußt genießen. Also nicht spontan, sondern geplant und durch nichts zu stören, den Mini-Retreat zu zelebrieren. Der Mini-Retreat ist überhaupt eine super Idee, um gegen Hamsterräder, Alltagsstress, Frustration und Monotonie anzukämpfen. Und wie bei allen Sachen, lesen und zustimmend nicken ist eine Sache, es wirklich tun, eine andere. Das gilt natürlich und in ganz besonderem Maße für das Schreiben!!!

Und wie kriegen wir nun unsere post-its? Wenn wir bereits die passenden Schubladen gefunden haben, aber irgendwie blockiert sind, dann hilft genau so ein Mini-Retreat, eine Tasse Tee, eine Zeitschrift, Sport, um bewußt gedanklich komplett abzuschalten. Forscher haben nämlich herausgefunden, daß unser Gehirn sich weiter mit dem Problem beschäftigt, auch wenn wir bewußt gar nicht mehr dabei sind. Und plötzlich haben wir’s. Deswegen arbeiten Werbetexter auch besonders effektiv auf den Bahamas, in einem Café auf der 5th Avenue oder auf dem Nanga Parbat. (Leider habe ich noch keinen Kunden gefunden, der diese Spesen übernehmen würde. Da muß es dann halt der Stadtpark von Oer-Erkenschwick tun:)

Eine gute Methode, um nach neuen Verschaltungen zu suchen, oder sich Verschaltungen bewußt zu machen, ist das in den 70ger Jahren von Gabriele Lusser Rico entwickelte Clustering, welches zum sogenannten Brainstorming gehört. Die neue Idee bestand in der Verknüpfung beider Gehirnhälften durch die visuelle Struktur, die Kreativität erst effektiv möglich machen sollte. Und das geht so: Auf einen leeren Zettel wird mittig ein Wort/Satz geschrieben, was zum Problem, zur Aufgabenstellung passt. Nun werden Assoziationsketten gebildet. Beispiel: das zentrale Wort ist Baum. Baum – grün –Blätter – Rauschen … Eine weitere Kette könnte so aussehen: Baum – Wald – Förster – Reh – Gewehr – Jagd – Bambi. Diese Ketten sind nicht zwangsläufig linear, sondern wild auf dem Zettel verteilt. Alles ist erlaubt, es wird direkt geschrieben und nicht zensiert, die Anzahl nicht festgelegt. Ist man soweit fertig, überprüft man, ob zwischen einzelnen Begriffen unterschiedlicher Ketten wieder Bezüge herzustellen sind und verknüpft diese mit einer Linie. Während dieses Prozesses kann sich dann ein Thema herausbilden, was über ein gezielteres Clustering oder eine separate Liste konkretisiert wird.

Zur selben Zeit entwickelte der englische Psychologe Tony Buzan übrigens das Mind-Mapping. Der große Unterschied zum Cluster besteht in der formellen Struktur und der zielgerichteten Umsetzung. Es ist konzeptioneller als das Clustering und kann zur Darstellung und Entwicklung zum Beispiel für Abläufe, Strategien, Prozesse und Inhalte genutzt werden.

Kreativität ist ganz eng mit Psychologie verbunden. Die Frage, was passiert (wo) im Gehirn, was muß passieren, damit Kreativität entsteht, ist eine spannende Frage, die Gegenstand psychologischer Kreativitätsforschung der Gegenwart ist. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß auch das Unbewußte für die Kreativität nicht unbedeutend ist. Schon der Surrealismus verband die Psychologie und ganz konkret die Psychoanalyse Freuds mit darstellender Kunst. Dali ist zum Inbegriff dieser Kunstrichtung geworden, die das Unbewußte an die Oberfläche zerrte und als Kunstform zerlegte.

Das Gehirn arbeitet auf mehreren Ebenen, die wir nutzen können. Allerdings müssen wir erst einmal Zugang dazu bekommen. Und dazu hilft zum Beispiel das Clustering, aber auch Dinge, wie ein Traum-Tagebuch führen, Tagträumen, Visualisieren. Und eben Hirnmasse.

Rainer M. Holm-Hadulla schreibt dazu in seinem Buch „Kreativität, Konzept und Lebensstil“, daß Kreativität sich aus folgenden Faktoren speist:

  • Begabung (mathematisch-logisch, sprachlich, naturwissenschaftlich …)
  • Persönlichkeit (Phantasie, Originalität, Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz, …)
  • Motivation (Neugier,…)
  • und die passende Umgebung, die Kreativität überhaupt zuläßt.

„Kreativität kann man nicht wollen, sondern man muß sie zulassen.“¹


In diesem Sinne ran an die Übungen:
Übung: Probiere mehrere Dinge aus: Künstlertreff/Mini-Retreat, Cluster zum Thema „Blog“, Traum-Tagebuch. Und hier noch eine spannende Extra-Übung von mir dazu: Erstelle eine Liste Deiner musikalischen Sozialisation (mit welchen Liedern bist du groß geworden), alternativ Filme/Serien, Bücher/Zeitschriften. Diese Übung regt die Erinnerung an und aktiviert die damit verbundenen Gefühle! Notiere Deine Erfahrungen mit den einzelnen Übungen


http://de.wikipedia.org/wiki/Kreativit%C3%A4t
http://www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/allg/mitarb/jf/Funke_2000_Kreativitaet.pdf
Julia Cameron, Der Weg des Künstlers. Knaur 2009
¹ Dr. Rainer M. Holm-Hadulla, Kreativität. Vandenhoeck &Ruprecht. Göttingen 2007. Seite26.
² http://de.wikipedia.org/wiki/Elektroenzephalografie (ganz spannende Tabelle über die verschiedenen Gehirnwellen, deren Zustände und mögliche Effekte)

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