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Der Werbe-Tölt oder Der Druck, medial omnipräsent sein zu müssen.

Beim Tölt handelt es sich um eine Gangart des Pferdes. Diese kommt ohne Schwebephase aus und variiert in der Geschwindigkeit zwischen Schritt und Galopp. Das Pferd ist ein hohes Tier, welches ich aufgrund meiner Höhenangst nur aus der Ferne und mit gering ausgeprägtem Interesse in meine Wahrnehmung einbeziehe. Anders verhält es sich mit dem Tölt.

Der Tölt als Gangart begegnete mir beim Hören der NDR Comedy „Wir sind die Freeses“. In der Folge vom 02.11.2015 ging es nun um den Tölt als Bewegungsform, wenn man zum Beispiel den letzten Platz auf einer Parkbank entdeckt, jemand anderes offensichtlich auch und man fängt ganz unauffällig an seinen Schritt zu beschleunigen, damit man diesen Platz erwischt. Darf aber keiner merken, das mit dem Beschleunigen.

Was hat der Tölt nun mit Autorenvermarktung zu tun?

Werbung, Marketing und das liebe Internet leben von total neuen Ideen, innovativen Werbestrategien und die passende Floskel dazu heißt: aufmerksamkeitsstark. In der Masse an Werbung, in der noch größeren Masse an Informationen – und wenn man sich das Internet und da speziell das Social Media anschaut – diese Kakophonie aus Informationsschnipseln, Links und Statusmeldungen produziert ein ohrenbetäubendes Gebrüll, Gelaber und Gekreische, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Wie also in diesem Social Lärm auffallen, wie überhaupt irgendwem zuhören können und wollen?

Grundsätzlich geht es um Aufmerksamkeit. Für jedes Anliegen, Interesse und Produkt gibt es Informationen im Netz. Mal mehr unterhaltend, mal mehr informativ, im besten Falle beides. Als Konsument suche ich nach für mich relevanten Informationen, die mein individuelles Bedürfnis befriedigen. Als Produzent biete ich Inhalte, welche die unterschiedlichen Bedürfnisse des Konsumenten ansprechen und befriedigen sollen.

Als Autor vermarkte ich mein Produkt, das Buch mit der Marke „Ich, der Autor“ über das Verbreiten von Informationen über Produkt und Marke. Leseproben, Rezensionen, Bloggen, Kommunizieren als Marketingstrategie. Gleichzeitig bin ich aber auch Konsument und suche nach Inhalten, wie ich mich selbst effektiv, budgetfreundlich und effizient vermarkten kann. Ich suche also Inhalte, die mit meinem Bedürfnis nach Information, Lernmöglichkeiten, Kontakten korrespondieren.

Bei Twitter, als Beispiel, rasen Informationen durch die Timeline, die ich zwar in Listen sortieren kann, aber trotzdem nach persönlicher Relevanz filtern muß. Vlogs und Podcasts bieten How-To und DIY- Beiträge, die die gleichen Inhalte bedienen, die ich vielleicht auch selbst anbiete. Und da ist er, der „Werbetölt“. Der Werbetölt ist ein psychologisches Phänomen. Ganz unbewußt baut sich Druck auf, der von der Konkurrenz und den Mitbewerbern um die Aufmerksamkeit des Konsumenten mitgetragen wird. Mal aktiv, mal unabsichtlich passiv.

Beispiel Autor: ich schreibe einen Artikel über Eigen- und Fremdwahrnehmung im Marketing. Gleichzeitig erscheint ein Beitrag in einer Zeitung, es gibt einen Vortrag von irgendwem, der beworben wird; es gibt drei Links in der Twittertimeline zu ähnlichen Inhalten, ein ganz neues Webinar von Firma xy und drei entfernte Bekannte diskutieren das in ihren vlogs. Örggssss … was, wenn mein Link auf Twitter zur falschen Zeit durch die Timeline von potentiellen Lesern dümpelt? Was, wenn die schon einen anderen Beitrag gelesen, gesehen und gehört haben und nun kein Interesse daran haben, zu vergleichen, ob ich besser oder informativer geschrieben habe? Was, wenn schon siebzehn andere auf fünf andere Beiträge zum gleichen Thema verlinkt haben? Was, wenn ich den Beitrag erst geplant habe und sehe, daß die soziale Gemeinheit bereits eifrig vorhandene Beiträge diskutiert? “ Hallo, ich hab da auch was geschrieben!“ „Hallo???“ „Haaaalooooooooooooo!“

Ich bin mir sicher, daß sich alle schon einmal diesem Werbetölt ausgesetzt gefühlt haben. Den Druck im Nacken hatten, schneller, besser und omnipräsenter zu liefern, damit just dann, wenn mal eine Millisekunde Ruhe im medialen Bau herrscht, alle hergucken. Manchmal erschlägt einen schier die Flut an Input und gefühlter und/oder echter Konkurrenz. Was also tun?

Durchatmen. Konzentriert Euch auf Eure Inhalte. Macht sie zu den besten Inhalten, die Ihr produzieren könnt. Kommuniziert sie in Eurem Tempo auf den Kanälen, in denen Ihr Euch wohlfühlt und authentisch sein könnt. Ein Social Media Hans-Dampf-in-allen-Gassen wird Euch früher oder später in ein ganz reales Burnout treiben. Und das nimmt Euch den Spaß am Schreiben, am Vermarkten und den Glauben, dass es auch für Euch einen Platz in diesem ganzen Gesumme und Gebrumme gibt. Die anderen kochen auch nur mit Hühnerbrühe.

Probiert alles aus, alle Marketingstrategien, alle Kommunikationswege – aber mistet auch wieder aus. Fokussiert Euch auf das, was für Euch funktioniert. Mit der Erfahrung profiliert sich Euer Vemarktungsweg, Ihr als Marke. Die Ecken und Kanten stoßen sich ab, was übrig bleibt, ist sauber geschliffen. Das nennt man dann ausgereift. Und das schafft wieder mehr Aufmerksamkeit. Aber Probieren, Scheitern, Modifizieren, Lernen und auch einfach mal erfolgreich durchrauschen ist ein Weg und kein Harry-Potter-mäßiges Apparieren von Null auf Hundert.

Die Selbstvermarktung besteht nicht nur aus dem Umsetzen vieler Marketingstrategien und Werbemaßnahmen, sondern auch um einen achtsamen Umgang mit sich selbst, der professionellen Markenpersönlichkeit. Selbstdisziplin bedeutet nicht, sich abzuschuften, sondern ganz im Gegenteil die eigenen Ressourcen, körperlich, geistig und damit auch die kreativen wertzuschätzen und pfleglich zu behandeln.

Erfolg ja und gerne, aber vergesst das Atmen nicht. Das einen Schritt zurück treten und auch Euren Weg zum Erfolg zu genießen.