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Das Erdbeer-Interview mit Ricarda Howe (Autorin)

Essen ist ein Grundbedürfnis. Bei Autoren kann man dasselbe über das Schreiben sagen. Schreiben und Essen. Das läßt sich nicht trennen, beides ist Lebensgrundlage und sinnliches Vergnügen zugleich. Je nachdem, was man so isst oder schreibt. Und was hat das jetzt mit Erdbeeren zu tun?

Die Früchte meines Schreibens fanden – als spontane Assoziationskette – ihren Ursprung in einem flüchtigen Tweet, der durch meine Timeline huschte und zu einer entzückenden Bekanntschaft mit seiner Autorin führte.

Toni A. Scott

Essen als Überbegriff für Nahrungsmittel, Getränke und deren Konsum taucht in Filmen, Romanen, Biografien und Bildern auf. Essen ist die romantische Beilage in einer Geschichte, der roten Faden, der entscheidende Hinweis, die Inspiration, ein Lebensgefühl, der Lifestyle, ein Event. Schreiben über das Essen kann alles sein. Nur, daß man sich dabei nicht Überschreiben kann. Oder doch? Orgiastische Schreibanfälle, Schreibsucht, Schreibwahn, künstlerisch dosiertes Schreiben in appetitlichen Häppchen, das Schreiben ist voller Ess-Bilder.

Die Muse ersäuft im Weinglas

Hemingway ist vielleicht das Synonym, wenn es um Schreiben im Alkoholrausch geht. Paris in den frühen Zwanzigern – Hemingway schrieb, feierte, liebte und lebte das savoir-vivre. Jedenfalls assoziere ich das mit ihm. Paris – a moveable feast ist seine Bestandsaufnahme dieser Lebensphase. Buena Vista Social Club, das kubanische Lebensgefühl – dörrende Mittagshitze, Zikaden, heiße Rhythmen in Nachtclubs. Ich stelle mir vor, wie Hemingway in seiner späteren Wahlheimat an einem Tisch sitzt, über das Meer schaut und gleichmäßig die Tasten seiner Schreibmaschine auf das Papier schnellen läßt. Ob sein Anschlag gefühlvoll und zärtlich war oder zackig und kurz wie seine Sätze? Er schreibt. Ich sehe, wie er seinen Schreibdämonen im Rausch zu entkommen sucht, wie er mit einer leeren Flasche Rum durch lehmige Straßen torkelt. Das ist romantisch verklärt und hilft vielleicht, ein Bild zu entwerfen, eine Stimmung zu erzeugen. Die Realität ist nüchtern.

Ratatouille – eine kleine französische Ratte mit Geschmacksknospen, die jeden Paul Bocuse alt aussehen läßt. Formidable. Kochen als Kunst. Kreativität gegen Kritik. Für diesen kleinen Chef ist Kochen kein Beruf sondern Berufung. Das Schreiben stellt einen vor die gleiche Wahl. Es gibt Worthandwerker und Textprostitution. Das kann man von mehreren Seiten betrachten, ich sehe das wertfrei, aber es irritiert so schön, also das mit der Texthurerei. Schreiben ist Brotjob und im selben Maße, wenn nicht noch mehr, von innen heraus drängende Leidenschaft.

Isabell Allende hat das vor Jahren erkannt und in Aphrodite, Fest der Sinne Anekdoten und Rezepte mit erweiterter (lies: aphrodisischer) Wirkung vorgestellt. Kleine Geschichten gewürzt mit Anleitungen zu lukullischen Genüssen und Allendes aus tiefstem Herzen kommende Bejahung der (Schreib-)Lust, um dem Leben trotz seiner faden und toten Momente jeden Tropfen Lebenssaft abzutrotzen. Mehr „Ja“ zum Leben kann man nicht schreiben.

Slainthe math – Stößchen – Prösterchen – ein Toast muß her!

Was wäre James Bond ohne seinen Martini, geschüttelt, nicht gerührt? Miss Marple hätte ohne ihren unverzichtbaren Tee und den noch unverzichtbareren Mr. Stringer sicherlich keinen einzigen Kriminalfall gelöst. Selbst Harry Potter erholte sich von Zeit zu Zeit bei einem Butterbeer und die überraschenden Geschmacksnuancen in Bertie Bott’s Bohnen gehören einfach zur Geschichte dazu. Für die ganz Hartgesottenen empfiehlt sich ein Pangalatischer Donnergurgler, beim dem man sicherlich über den Verlust seines Handtuches hinwegkommt. Wenn man diese Tatsache dann nicht schon längst in einem selig verborgenen Teil seines Unbewußten verstaut hat.

Essen als roter Faden, als Handlungskonflikt oder charakterisierendes Merkmal ist keine neumodische Erscheinung. In den Nibelungen gab es ein Festmahl zur Verlobung Kriemhilds mit uns Siggi (kam bei Brünhild jetzt nicht so gut an), Shakespeare nutze Feten, Feste und üppige Mahle als Bühne für alle Eventualitäten (Mord und Geister bei Macbeth, Verlobung in Viel Lärm um Nichts), die Grimmschen Märchen behandelten Essen als zentralen Konflikt (den Gegebenheiten der Zeit geschuldet): Hänsel und Gretel, Rapunzel, Schneewitchen, Der süße Brei. In der Feuerzangenbowle ist selbige Katalysator für Erinnerungen. Leben Erinnerungen in Geschichten weiter? Sind Geschichten gelebte Erinnerung oder wird die Geschichte zur Erinnerung. Dieser philosophische Ansatz erfreute sich während meiner Studienzeit am Nikolaustag allergrößter Beliebtheit. Im Audi Max konnte man sich den Film anschauen und später dann in kleinerem Rahmen so eine Bowle auf ihre literarische Wirkung hin untersuchen. Natürlich aus rein wissenschaftlichem Interesse!

The same procedure as last year? Natürlich, dusselige Kuh!

Unvergessen und ein Dauerbrenner an Silvester sind Dinner for One und Der Silvesterpunsch mit Ekel Alfred (Ein Herz und eine Seele). Das passende Getränk in der passenden Situation stellt den einen oder anderen Hausherren/-diener schon mal vor Herausforderungen. Und so ganz praktisch und auch im Hinblick auf die Foodbloggerszene gedacht, hat sich mit Jamie Oliver, Tim Mälzer, Stefan Hennsler, Enie backt und Cynthia Barcomi eine Koch-/Backkultur etabliert, die auch den normalsterblichen Herdakrobaten in den Kochhimmel befördert. Mich übrigens eingeschlossen, denn der Herzbeste grillt und kocht, wie es nur ein echter Mann tut. Kochen ist sexy. Schreiben auch. Egal, aus welcher Perspektive, Motivation oder Eingebung heraus man sich dem Essen und dem Schreiben nähert, es mangelt nicht an Beispielen, Inspirationen und Informationen.

Und wie sieht nun die praktische Umsetzung im Autorenleben aus?

Dazu habe ich Ricarda Howe befragt, die mich mit ihren Frühstückserdbeeren zu diesem Artikel inspirierte. Ricarda war sofort von der Idee begeistert und hat meinen Fragen ganz spontan literarisches und kulinarisches Leben eingehaucht:

Du hast ja schon einige fremde Eß- und Schreibkulturen kennengelernt. Was hast Du dabei gelernt, was ist Dir aufgefallen?

Ich liebe Neuseeland, aber nicht wegen des Essens. Das ist sehr britisch. Ganz anders ist es mit Thailand – ich liebe thailändisches Essen: immer frisch, gesund und lecker. Mmh, das Curry – da läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Auf meinen Reisen habe ich gelernt, wie wichtig gutes Essen ist. Das kennt wohl jeder aus dem Urlaub – schlechtes Essen vermiest die Laune. Ich habe aber auch gelernt, dass man das Leben leichter nehmen kann und alles nicht so ernst nehmen muss.

Inwieweit haben diese Erfahrungen Deine Arbeit, Dein Schreiben und natürlich auch Deine Geschmacksnerven beeinflusst?

In Neuseeland freundete ich mich mit einem Neuseeländer an. Er zeigte mir, dass die deutsche Pumpkin Soup (Kürbissuppe) ein Witz ist. Der Löffel muss in der Suppe stehen können und der Cayenne-Pfeffer von innen schön wärmen – dann sei es richtig.
Auf einer Autofahrt fragte er mich irgendwann verwundert, warum ich erst mit 60 Jahren meinen Traum vom eigenen Roman verwirklichen will. Warum nicht jetzt? Er nahm meinen Traum vom Schreiben ernst. Das kannte ich nicht. Die Idee, es mit dem Schreiben zu versuchen, musste aber noch acht Jahre wachsen, bis ich mich traute. Seit letztem Jahr absolviere ich eine Autorenausbildung im Schreibhain Berlin und arbeite nun an meinem ersten Roman. Die Chancen stehen also gut, den Roman noch vor dem 60. Geburtstag zu schaffen.

Würdest Du Dich als Gourmet bezeichnen? Womit verwöhnst Du Deinen Gaumen?

Nee, ich bin kein Gourmet, sondern ein mäkliger Vegetarier (lacht). Ich koche auch nicht gern. Muss ich aber auch nicht, weil Berlin so viele gute Restaurants, Bistros, Cafés usw. hat. Diese Essensvielfalt mit hoher Qualität und zum günstigen Preis ist wahrscheinlich einmalig.

Hast Du einen Tipp, was man in Berlin unbedingt ausprobieren sollte?

Sich vormittags ohne Smartphone oder Laptop in ein Café setzen und einfach mal beobachten – die lauten Touristen, die Coffee-to-Go-Junkies, die Laptop-Leute, die hippen Kellner und Kellnerinnen … Und dann seine Figuren im Roman besetzen.

Wie sieht es mit Arbeiten und Essen aus? Nimmst Du Dir Zeit für Pausen? Wie wichtig ist für Dich das Essen beim Schreiben?

Hungrig kann ich nicht arbeiten. Ich frühstücke daher immer ausgiebig – auch an Wochentagen. Die Mittagspause ist ebenfalls obligatorisch. Am liebsten verabrede ich mich dann in einem Café oder Restaurant mit Mittagstisch. Aber ich gehe auch allein essen. Mir tut es gut, die Pausen nicht vorm Rechner zu verbringen. Die räumliche Entfernung vom Schreibtisch und die Bewegung an der frischen Luft bringen neuen Schwung – und helfen auch bei Schreibblockaden.

Hast Du schon mal über Essen geschrieben?

Essen war bisher nie ein zentrales Thema, spielt aber durchaus eine Rolle in meinen Texten. Es gibt eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Der Geschmack von Hagebuttentee“ – die wartet in der Schublade auf die nächste Überarbeitung.

Du beschreibst Dich als Plotter. Machst Du Dir Gedanken, was das Lieblingsessen Deiner Figuren ist, was sie trinken? Welche Rolle spielt Essen für Deine Geschichte?

Nein, bis zur unserem Gespräch auf Twitter hatte ich mir diese Frage nicht gestellt. Ich kenne die Vergangenheit, Schwächen und Träume meiner Figuren, aber nicht ihr Lieblingsessen. Bestellt die Figur eine Currywurst, einen Tofu-Burger oder Austern? Ich glaube, das Essen ist eine schöne Möglichkeit, den Lesern die Figur näher zu bringen. Ich werde das jetzt mal bewusst ausprobieren. Was mich allerdings beim Lesen nervt, ist das Namedropping, z.B. von Wein- und Whiskeymarken oder irgendwelchen Mode- und Luxusmarken – davon habe ich meist gar keine Ahnung. Das sagt mir dann auch nichts über die Figur.

Gibt es Getränke, Snacks oder Gerichte, die Du beim Schreiben bevorzugst? Oder einen bestimmten Tee oder Wein, der Dich in Schreibstimmung bringt?

Nein, eigentlich nicht. Wichtig ist nur, dass ich nicht hungrig und durstig bin. Wenn ich unterzuckere, kann ich nicht denken. Daher esse ich zwischendurch viele Nüsse – am liebsten Cashewnüsse.

Kompensierst Du Schreibblockaden mit Süßigkeiten?

Funktioniert bei mir leider nicht. Ein Spaziergang hilft mir da schon eher. Manchmal wünsche ich mir einen Hund, mit dem ich raus muss. Aber dann könnte ich nicht mehr so viel reisen.
Im Nachmittagstief gönne ich mir gern Schokolade, aber nur die mit 75% und mehr Kakao-Anteil. Davon kann man zum Glück ja nicht so viel essen. Ich jedenfalls nicht. Oder gibt es jemanden, der eine Tafel 80%-Bitterschokolade verschlingt?

Wo schreibst Du? Gehst Du auch mal in ein Café?

Meistens schreibe ich zu Hause im Arbeitszimmer – wenn es warm ist, auch gern auf dem Balkon. Aber die Highlights der Woche sind meine Schreibgruppen. „Gruppe“ ist dabei übertrieben: Wir treffen uns jeweils zu zweit im Café und schreiben gemeinsam drei bis vier Stunden – jeder an seinem Projekt. Wir diskutieren die Texte nicht (das mache ich in der Autorenausbildung). Es geht nur ums schreiben. Aus irgendeinem geheimnisvollen Grund scheinen wir in der Gemeinschaft disziplinierter zu arbeiten. Allerdings habe ich festgestellt, dass dies bei mir nur für die Rohversion von Texten gilt. Für Überarbeitungen brauche ich absolute Ruhe. Da darf noch nicht mal mein Freund mit im Arbeitszimmer sitzen, was ich ihm schwer erklären kann. Ist einfach so.

Fragequiz:

  • Ein Schriftsteller: Mmh, spontan fällt mir Wolfgang Herrndorf ein, weil ich „tschick“ am Wochenende endlich gelesen habe. Die beiden Jungs nehmen vier Tiefkühlpizzen mit auf ihre Autofahrt. Das sagt so viel über die Figuren aus – wirklich super.
  • Ein Buch: Kochbücher. Davon habe ich etliche im Regal – die meisten ungenutzt.
  • Ein Getränk: Einfach Wasser. Auf meinen Reisen habe ich gelernt, dass es nicht besseres gibt, als sauberes, frisches Trinkwasser. Das trinke ich auch zu Hause am liebsten.
  • Ein Film: „Delicatessen“ von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro. Oh ja, das ist jetzt eklig – da werden die Hausmeister verspeist. Ist mir aber als erstes eingefallen, daher lasse ich die Antwort einfach stehen. 🙂
  • Ein Koch: Keine Ahnung. Ich sage daher „Kochhaus“. Hier kauft man die Rezepte mit den Zutaten. Die Arbeitsschritte sind bebildert – so kann selbst ich super lecker kochen 🙂
  • Ein Gewürz: Ingwer. Ich liebe Ingwer – auch als Tee.
  • Geheimzutat: Liebe. Mit Liebe gemacht, schmecken auch einfachste Dinge.
  • Schlimmstes Esserlebnis: Flugumleitung wegen Schneefall in Madrid. Wir fuhren mit dem Bus durch halb Spanien. Auf den Rasthöfen gab es nur Fast-Food mit Fleisch – nichts für Vegetarier. Ich war am Verhungern als ich ein dreieckiges Käse-Sandwich in einer Plastikverpackung erstand. Ich kaute darauf rum, schluckte, würgte. Mehr als einen Bissen bekam ich nicht runter. Das ist schon acht Jahre her und ich erinnere immer noch an dieses Gefühl von altem Gummi im Mund.
  • Sinnlichstes Esserlebnis: Auf einer Insel in Vietnam. Eine lange gedeckte Tafel unter Lichterketten. Warmer Wind auf der Haut. Sternenhimmel. Neben mir mein Freund, um uns herum fremde Menschen aus der ganzen Welt. Der Inhaber des Guesthouses kocht ein Viergänge-Menü. Ein Genuss für Augen, Nase, Mund und Seele. Damals dachte ich, Frieden und Harmonie sind so einfach: Gemeinsam gut essen macht glücklich.
  • Dein ultimativer Schreibgenusstipp: Eine Schale frischer Erdbeeren und der Blick aufs Meer. Ach, ich vermisse in Berlin so sehr das Meer!
  • Dein Schreibmotto: Träume leben!
Ricarda Howe (Bildrechte mit freundlicher Genehmigung)

Ricarda Howe, Autorin und Projektmanagerin, lebt und schreibt in Berlin, liebt Erdbeeren und die Ostsee und arbeitet aktuell an ihrem ersten Roman. Wer Ricarda auf ihrem Weg zum ersten Buch und den Tücken des Mansukriptes begleiten möchte, besucht sie doch einfach auf ihrem Autorenblog schreibsüchtig!