Rezension

Crossroads

Ein Inspektor Norcott Krimi von Jürgen Albers

Es gibt Geschichten, die verdienen eine besondere Leseumgebung. In diesem Fall geht es um den Krimi ‚Crossroads‘ von Jürgen Albers. Wir schreiben das Jahr 1940. Der britische Chief Inspector Charles Norcott hadert mit dem Tod seiner Frau, was auch berufliche Spuren hinterlässt und so kann er wenig dagegen tun, auf einen Posten auf die Kanalinsel Jersey weggelobt zu werden.

Die Kanalinseln verbinden die gute englische Tradition mit französischem Flair, einer üppigen Bilderbuchvegetation, bedingt durch den warmen Golfstrom und die Nähe zu Frankreich. Fischerboote, die in der glitzernden See dümpeln, emsiges Treiben am Hafen, Touristen, Märkte. So idyllisch diese Aussicht, so schnell ist die Illusion vorbei.
Eine junge Frau wird auf der Nachbarinsel Guernsey ermordert, die Deutschen Truppen halten Frankreich besetzt und die kleine Inselgruppe wird zum Dreh- und Angelpunkt unterschiedlicher staatlicher Interessen. Die britische Armee zieht sich zurück, dafür kommen die Deutschen. Ein Großteil der Bevölkerung flieht, die Zurückgeblieben versuchen aus der völligen Isolation und Abgeschnittenheit das Beste zu machen. Norcott ermittelt nun auf Guernsey und wächst mit diesem neuen Team aus zusammen, findet Freunde und Unterstützung an Stellen, wo er es nicht vermutet hätte.

Ich denke, der Reiz der Kanalsinseln Guernsey besteht aus der Mischung eines friedlichen Fleckchenen Erdes mit mediterranem Klimabedingungen, weit weg vom Festland und den alltäglichen Unbillen, verbunden mit einer touristisch ausgerichteten romantischen Erwartungshaltung an das Leben dort. Nicht umsonst hat auch der französische Schriftsteller Victor Hugo Guernsey zu seinem Exil erkoren. Als Schauplatz für einen Kriminalroman, eingebettet in einen Historischen Kontext, entsteht eine ganz natürliche Kammerspielatmosphäre, die für Spannung und Dichte sorgt.

»Aber es war eine trügerische Ferne und diese Illusion war das erste Opfer der deutschen Invasion gewesen.« (S.313)

Albers hangelt sich nicht einfach von Ereignis zu Ereignis, er zeichnet ein ganz lebendiges Bild der Zeit und der Menschen auf dieser Insel. Und wie in einem Kammerspiel liegt der Fokus auf der psychologischen Dramaturgie. Norcott ist ebenso einfühlsam, wie getrieben in seiner Arbeit als Polizeiermittler. Vielleicht sogar ein Stück zu sehr bemüht, ein anständiger Kerl zu sein, wenngleich angedeutet wird, dass er in Vergangenheit nicht sehr zimperlich mit seinen Mitmenschen umgegangen ist. Die politische Lage, die Bedrohung durch die deutsche Invasion spiegelt Norcotts Innenleben. Und ich gehe so weit zu sagen, dass die durch die äußerlichen Umstände hervorgerufene Gefühlslage Norcotts unterdrückten Gefühle entspricht.

»Norcott stand wortlos a Fenster seines Büros und sog die bedrückende Stimmung in sich auf, ließ sich ganz auf sie ein. Er wollte Trauer und Hoffnungslosigkeit tief in seinem Fühlen verankern. Sie würden Verbündete sein gegen William Henley.« (S.126)

Seine Kollegen, ich sage mal salopp, ein Haufen eingeschworener Dorfpolizisten, die bei diesem Mord zu Höchstform auflaufen und doch jeder von ihnen ganz individuelle Züge trägt.
Für frischen Wind sorgt Vicky Rhys-Lynch, die die Ermittlungen unterstützt, aber auch auf der privaten Ebene Norcott die Möglichkeit gibt, sich mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft auseinander zu setzen.

»Offen gesagt, Chief Inspector, ein Kaffee wäre mir lieber. Ich konnte mit Tee noch nie etwas anfangen. Sehr unbritisch, in der Tat.« (S.41)

Dieses Zitat ist ebenso ein Beispiel, wie Albers subtil britischen Sprachgebrauch einpflicht. In der Übersetzung hieße es dann very british: »Very unbritish, indeed.« Aber auch die Satzstellung ist mir an einigen Stellen aufgefallen, die mich mehr an die britische Grammatik erinnert.
Spannend die Fährten, die Albers rund um einen Mord auslegt, der nicht der einzige bleiben wird. Der Witwer des Mordopfers Nora Henley ist so glatt, so wenig berechenbar, dass wir als Leser nicht sicher sind, ob wir ihm alles zutrauen sollen oder sogar müssen.

Einen Einblick in Henley bekommen wir erst spät in der Geschichte und im Zusammenhang mit der die Protagonisten nervenden Vermieterinder Hernleys, Mrs. Dobbs, deren inszenierte Darstellung ihrer Selbst natürlich nicht nur Fragen bei Norcott und seinem Team aufwirft, sondern auch den Leser aufhorchen lässt.
Henley vergleicht Mrs. Dobbs und seine Beziehung zur mit einer Qualle, deren giftige Tentakeln sich um ihn schlingen. Eine wunderbar unverbrauchte Metapher, die umso mehr Gewicht bekommt, da wir bis dahin keinen Einblick in das Gefühlsleben Henleys bekommen.

»Sie war wie eine von den seltenen Riesenquallen, die in sehr heißen Sommern manchmal an den Strand gespült wurden – schwammig, weich … fast unsichtbar warfen sie ihre Nesselfäden um ihre Opfer. Henley hatte einmal so eine Qualle gesehen, in deren giftigen Fäden noch ein halbverdauter Fisch hing … ein ekelhafter Anblick war das gewesen.« (S.317)

Die Ermittlungen im Mordfall Henley dehnen sich bis nach Frankreich aus und hier verweben sich nun historische Geschichte, Figuren und Handlungsstränge. Die deutschen Besatzer sind nicht nur braune Masse, sondern sorgsam differenzierte Charaktere, die der Handlung ebenfalls zu mehr Tiefe verhelfen. In Kombination mit den französischen Kollegen, die wie der Zitronensaft auf der Auster für mehr Würze – und auch Humor – sorgen, ist das Ermittlungsteam losgelöst von politischen Interessen ausschließlich an der Lösung des Falls interessiert und kann sich doch nicht aus den Fängen der Kriegsereignisse und deren Konsequenzen lösen.

»Mit einem elegantem Schwung steckte sich Grignard die Serviette in seinen Uniformkragen und behielt sein stilles Lächeln. Er kostete ausgiebig die Suppe, dann legte er den Löffel beiseite. »Sie haben wieder recht, Chief Inspector.« Er nahm noch einen Löffel voll Suppe, als wenn er seine Meinung noch einmal überprüfen wollte und genoss die aufmerksamen Blicke seiner drei Kollegen.
»Was? Ach Sie wollen wissen …?«
Norcott hätte den Franzosen gern ein wenig geschüttelt, aber er beherrschte sich.
»Jaaa!«

Auch die Nebenhandlung, die kleinen alltäglichen und auch kriegsbedingten Probleme der Bewohner, der Alltag jenseits der Touristenidylle, die falschen Fährten, die Albers legt, ergänzen nicht nur die Haupthandlung, sondern sorgen für eben dieses lebendige Bild und erzählerische Dichte.

Crossroads ist ein grundsolide erarbeiteter Kriminalroman, welcher sich exzellent bei einer Tasse Tee genießen lässt und auch so genossen werden sollte. Ich möchte aber auch noch ein Wort zum Umschlag sagen, denn Tina Köpke hat ein ausnehmend gut gestaltetes Cover entworfen, welches der Geschichte einen würdigen Rahmen verleiht, damit noch einmal die Professionalität des Buches unterstreicht und den Qualitätsstandard im Bereich Selfpublishing demonstriert.


Ich bin nun sehr gespannt auf den Folgeroman »Erased« und freue mich auf ein neues Lesevergnügen.